Drohkulisse und Falschmeldungen?
In diesem Spannungsfeld hat sich die Initiative „Rettet das Brühler Klima –jetzt” Gehör verschafft. Joachim Riemer, u.a. der frühere Leiter des Verkehrswesens von Bayer und heute Rentner sowie Eva Heinen wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bundeshochschule. Sie haben sich intensiv mit der Materie beschäftigt. „Ganz zu Beginn standen wir einer Realisierung relativ unaufgeregt gegenüber, weil wir andere örtliche Möglichkeiten sahen. Schließlich ging es angeblich um eine alternativlose Standortwahl für Beamte der in Brühl-West gelegenen Bundeshochschule”, sagt Joachim Riemer. „Denn es stand ja das Drohszenario im Raum, dass diese den Standort Brühl innerhalb von zwei bis drei Jahren verlassen würde, wenn nicht in erheblichem Umfang neue Ausbildungs- und Übernachtungskapazitäten entstünden.”
In diesem Sinne hatten sich der Brühler Baudezernent Gerd Schiffer, der Fachbereichsleiter Markus Lamberty sowie der sachkundige Bürger Frank Pohl in der Sitzung des Auschusses für Planung und Stadtentwicklung im September 2018 geäußert, die auf einen schnellen Beschluss zum Bau drängten. Zweifel an der Dringlichkeit und der Notwendigkeit kamen Eva Heinen und Joachim Riemer dagegen, als sie erfuhren, dass nicht der Bund als Bauherr auf den Plan treten wolle, sondern private Investoren.
„Schließlich gehören die bestehenden Liegenschaften dem Bund. Je mehr wir dann hinterfragten, desto mehr Ungereimtheiten realisierten wir. Hier wurde offenbar eine dreiste Drohkulisse aufgebaut”, glaubt Riemer. „Denn wir sind der Meinung, dass im Windschatten eines konstruierten öffentlichen Interesses versucht wird, den öffentlichen Willensbildungsprozess mit Falschmeldungen für politische oder wirtschaftliche Interessen zu beeinflussen.”
Bedarfsspitzen nur temporär
Das sind harte Vorwürfe. Joachim Riemer und Eva Heinen glauben, ihre Einwände mit konkreten Fakten belegen zu können. Doch der Reihe nach. In einem Schreiben an das Bundesministerium des Inneren, zu dem die Hochschule gehört, bat Joachim Riemer um Aufklärung. Das Ministerium teilte mit, dass „verschiedene Anmietungen von Schulungs- und Seminarräumen vorgenommen werden, um gegebene Bedarfsspitzen temporär decken zu können”. Und weiter: Bei der geplanten Maßnahme „handelt es sich um eine privatwirtschaftliche Investition für ein Tagungs- und Kongresszentrum. Die Umsetzung dieser Maßnahme erfolgt alleine auf Planung und Risiko des Investors und ohne Beteligung der Hochschule des Bundes. (...) Der Investor hat der Hochschule des Bundes, wie anderen Interessenten, im Vorwege ein Angebot für die Anmietung von einzelnen Räumen in dem Objekt vorgelegt.” Aus dem Schreiben folgert Joachim Riemer, dass „man einen dauerhaften Bedarf von 500 Appartements für die Hochschule des Bundes hieraus nicht ableiten kann. Und selbst wenn der bestehen würde, gäbe es auf dem Gelände der Hochschule genügend Möglichkeiten, dort einen Bau zu errichten”.
Neben diesen zahlreichen „Ungereimtheiten" stören Joachim Riemer, Eva Heinen und ihre Mitstreiter aber vor allem die klimatischen Folgen eines solchen Bauprojektes. „Wir reden hier über ein wichtiges Landschaftsschutzgebiet von Brühl, in dem sich nachweislich eine Kaltluftentstehungszone für das Brühler Stadtgebiet befindet”, sagt Eva Heinen.
Eine Kaltluftentstehungszone ist wichtig für das lokale Klima einer Stadt. Dort entsteht kalte Luft. Weil diese kalte Luft schwerer ist als warme, sinkt sie per Schwerkraft in Richtung Brühl ab. Deshalb ist ein solches Gebiet immer dann von besonderer Relevanz, wenn es sich oberhalb einer Stadt befindet, was hier vorliegt. Hinzu gesellt sich die exponierte Lage im Brühler Westen, die bewirkt, das durch die vorherrschende Windrichtung aus West-Südwest, aber auch durch Nordwest frische und saubere Luft aus dem Villewald in die Stadt geblasen wird. „Deshalb müssen wir jetzt alle unsere letzten verbliebenen Kaltluftentstehungsgebiete konsequent vor Versiegelung und Bebauung schützen, wenn wir nicht wollen, dass wir weiter sehenden Auges auf eine Klimakatastrophe zusteuern”, fordert Eva Heinen.
Viel zu wenig Parkplätze
Ein weiterer Kritikpunkt der Bürgerinitiative ist das Fehlen ausreichender Parkflächen. Lediglich 209 Parkplätze sind vorgesehen. „Wohnungseigentümer müssen in Brühl nicht ohne Grund 1,5 Stellplätze pro Wohneinheit vorweisen. Demnach müsste dieses Wohn-, Tagungs- und Kongresszentrum in der Planung mindestens 750 Stellplätze ausweisen. Man kann sich gut ausmalen, was das für den Parkplatz am Heider-Bergsee bedeutet, wenn 500 Bewohner, Personal und deren Besucher auf diesen ausweichen”, ärgert sich Joachim Riemer. „Wie muss sich eigentlich ein Brühler Einzelhändler fühlen, der bei Fehlen eines solchen Soll-Stellplatzes, dafür an die Stadt Brühl eine richtig hohe Abstandszahlung leisten muss? Zahlt die HBC-Campus GmbH der Investoren eigentlich die gleiche Summe? Das wären dann ca. 3,5 Millionen Euro.”
Die Bürgerinitiative ruft daher zum Widerstand gegen den „Bebauungsplan 08.91 Bundesakademien” auf, weil ein Großbau entstehen soll, der nicht auf Betreiben und in Verantwortung des Bundes (Bundesministerium des Innern) entwickelt wird, völlig überdimensioniert ist, über viel zu wenig Parkplätze verfügt und vor allem das Landschaftsbild und ein Landschaftsschutzgebiet samt seiner Kaltluftentstehungszone und Frischluftleitfunktion unwiderbringlich zerstören würde.
Und schließlich: Nach dem Bau der Bundesfinanzakademie und der Fachhochschule des Bundes wurde den Brühler Bürgern von der Politik schon vor Jahrzehnten versprochen, dass diese Ackerflächen als Kaltluftentstehungsgebiet und Frischluftschneise den zukünftigen Generationen erhalten bleibt und nicht bebaut werden soll.
Tobias Gonscherowski